Wanderplanung 21 - Fachbüros und Wandervereine
Betrachtungen aus der Sicht eines selbstständigen Wanderplaners
Von MIchael Hahl
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich in der Wanderplanung sehr viel getan. Wandern ist mehr als je zuvor zu einem Aspekt der innerdeutschen Tourismuswirtschaft geworden. Neue Trends und neue Projekte haben einen Markt erschaffen, auf dem sich heute nicht mehr allein die Wandervereine und ihre teils unternehmerisch ausgerichteten Vorstände positionieren, sondern auf dem mit zunehmender Bedeutung auch entsprechende Fachbüros Fuß fassen. Leider kollidieren auf diesem Feld manchmal auch althergebrachte oder vermeintliche Zuständigkeiten und die fachlichen Kompetenzen neuer Akteure, bspw. aus dem geographischen Umfeld. Neue Akteure haben es mitunter nicht leicht, auf dem oftmals noch von Vereinen dominierten Wandermarkt Fuß zu fassen. Doch: Eine derartige "Kollision" alter und neuer Pfade muss keineswegs sein und wäre auf lange Sicht sogar sehr kontraproduktiv, wie die folgenden Absätze zeigen sollen. Vielmehr muss es darum gehen, dass sich alle Akteure für konstruktive Kooperationen öffnen. Und dies ist wiederum umso wichtiger, weil die Überalterungstendenz in den Wandervereinen aufgrund gesellschaftlicher Trends wohl kaum aufzuhalten sein wird. Somit sind neue Kompetenzträger gefragt - udn im besten Falle können alte und neue Akteure kooperativ zusammen wirken und voneinander lernen.
Wandern ist zwar seit den 1990ern wieder zu einer touristisch höchst bedeutenden Marke geworden, wie etliche Studien belegen, dennoch führt die neue Begeisterung für den Gehgenuss in naturnahen Landschaften nicht zu einer Zunahme der Wandervereinsmitgliedschaften, wie dies noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall war. Dokumentiert ist: Rund 40 Millionen Deutsche wandern. Das sind über 55 % der Bevölkerung. In den Wandervereinen organisieren sich maximal 3-4 % der Bundesbürger. Fazit: Weit über 90 % der deutschen Wanderer praktizieren das Wandern am Anfang des 21. Jahrhunderts lieber vereinsfrei. Das derzeitige Durchschnittsalter der in den Vereinen organisierten Wanderer macht die Prognose eines weiteren Mitgliederschwundes in den nächsten 20 Jahren zum wohl unumgänglichen statistischen Faktum, sofern nicht – was soziologisch kaum zu erwarten ist – eine Trendwende zu anderen Konsequenzen überleiten sollte. Aus der Trendforschung, die zunehmende Individualität, Selbsterfahrung und „Selfness“ prognostiziert, ist jedenfalls keine Änderung dieser Marschrichtung auszumachen.
Individualität schlägt Vereinsmeierei? Dies sind sicherlich nur Schlagworte ohne allzu großen Aussagewert. Doch man kommt nicht drum herum: Die Wandervereine scheinen heute längst nicht mehr als Attraktoren für nachrückende Wandergenerationen tauglich, selbst wenn Manuel Andrack in seinem neuen Gehkultbuch dazu aufruft, den Wandervereinen beizutreten. Somit findet sich fraglos auch die Planungs- und Umsetzungskompetenz seit langem nicht mehr allein bei den Wandervereinen, sondern deckt im Zeitalter der Wissensgesellschaft vielfältige Aktivitäten ab und bietet nicht nur GPS-Freaks jede Menge Spielräume irgendwo zwischen wandersportlichem Ausschritt und digitalem Auftritt sowie etlichen Profis und Experten neue und innovative Dienstleistungsfelder.
Mit dem Wandertrend unserer Tage geht eine neue Professionalisierung einher, etwa im Bereich der Wegeplanung, des Marketings oder der Navigation - von der ausufernden Outdoorbranche für Bekleidung und Ausstattung gar nicht zu sprechen. Dadurch ist natürlich auch das manchmal noch zu beobachtende Bemühen der Wandervereine um Marktpositionierung, die eine vereinseigene Phalanx als alleinigen Ansprechpartner für alle wandertouristischen Belange präsentieren möchte, unter aktuellen Vorzeichen längst überkommen. Hier ist heute auf allen Seiten Wettbewerbsethik gefordert, bei Planungsbüros ebenso wie bei den unternehmerischen Zweigstellen in den regionalen Vorstandschaften einiger deutscher Wanderklubs, die gerne und verdientermaßen mit traditioneller Ehrenamtlichkeit kokettieren, parallel dazu aber einen mit Tagessätzen honorierten Dienstleisterweg einschlagen und deren Aufwandskosten durchaus denen mitbewerbender Planungsbüros entsprechen. Hier steckt eine gewisse Ambivalenz zwischen ehrenamtlichem Ursprung und kommerzialisiertem Leistungsangebot, die den freien Markt manchmal etwas ad absurdum führt und vielleicht im Lauf der kommenden Jahre erst noch weiter zur eindeutigen unternehmerischen Profillinie zurecht wachsen muss.
Letztlich können ja gerade aus der Dienstleistungsvielfalt wirklich neue Wege der Produkt- und Qualitätsentwicklung in den Wanderdestinationen entstehen. Für den Tourismusmarkt wäre es schlichtweg kontraproduktiv, nicht vereinsgebundene Mitbewerber beispielsweise durch politische Lobbyarbeit vom Spielfeld fern zu halten, damit die Liga der Wandervereine am Ball bleiben kann. Dienstleister und Auftraggeber müssen erkennen, schätzen und differenzieren lernen, was für die Wanderinfrastruktur bereits von Vereinen geschaffen wurde und was für die innovative Entwicklung nun auch von vereinslosen Anbietern wie den entsprechenden Fachbüros geleistet werden kann und – aufgrund der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse und Trends - auch zunehmend geleistet werden muss.
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